In der klinischen Qualitätsanalyse der Diagnostik und Behandlung von akuten Hirnerkrankungen wie Schlaganfall, Subarachnoidalblutung und Schädel-Hirn-Trauma wird als ein Qualitätsindikator die Sterblichkeitsrate angegeben und für vergleichende Darstellungen der Ergebnisqualität der Krankenhauskliniken herangezogen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Sterblichkeitsrate ein guter klinischer Qualitätsindikator in der Behandlung akuter Hirnerkrankungen darstellt, die intensivmedizinisch behandelt werden.

Wenn am Ende einer adäquaten Diagnostik und Behandlung der Patient nach einer akuten Hirnschädigung verstirbt, so stellt sich für den Behandler in der kritischen Fallanalyse letztendlich viel mehr die Frage, ob das Versterben des Patienten vermeidbar oder unvermeidlich war. Dies legt nahe, dass die alleinige Betrachtung der Sterberate ohne Berücksichtigung der Schwere der Erkrankung, dem Zeitpunkt des Behandlungsbeginns und der Einbeziehung bestehender Risikofaktoren nicht sinnvoll ist und nur unzuverlässig die Qualität in Hinblick auf die Prozesse und das Ergebnis der Behandlung wiederspiegelt. Dies gilt heutzutage umso mehr, wenn die therapeutischen Bemühungen durch die Entscheidung, eine intensivmedizinische Therapie aufgrund des Patientenwillens zu begrenzen bzw. zu beenden, eingeschränkt werden. In einem systematischen Review der Ergebnisse klinischer Studien nach Schädel-HirnTrauma von Leblanc et al. (1) wurde in 20% der Studien angegeben, dass eine lebenserhaltende Therapie beendet wurde. 63% der Sterblichkeit konnte auf die Beendigung der lebenserhaltenden Therapie zurückgeführt werden. Die Autoren führen jedoch aus, dass die Entscheidung zur Beendigung der lebenserhaltenden Therapie unvollständig angegeben wurde. Dies ist insbesondere kritisch, wenn die Sterblichkeitsrate als Parameter der Behandlungsqualität mit herangezogen wird. Im Rahmen einer kanadischen Multicenterstudie konnte gezeigt werden, dass die Sterblichkeit nach schwerem SchädelHirn-Trauma sehr stark zwischen den Zentren variierte (10.8-44.2 %) und die meisten Todesfälle auf die Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen bei fehlenden präzisen Prognoseindikatoren, vor allem in den ersten drei Tagen der Behandlung, zurückzuführen  waren (45-86,8 %) (2). Im Rahmen einer französischen multizentrischen Observationsstudie mit mehr als 10.000 Patienten wurde bei 13% der Patienten aufgrund des Patientenwillen auf die Therapie Einfluss genommen, wobei die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen mit der höchsten Sterblichkeitsrate auf der Intensivstation (94%) vergesellschaftet war (3).
Unterschiedliche klinische Untersuchungen zeigen somit, dass das alleinige Heranziehen der Sterblichkeitsrate bei kritisch erkrankten Patienten mit akuter Hirnschädigung für die Charakterisierung der klinischen Behandlungsqualität nur unzureichend geeignet ist. Die Schwere der Schädigung, der Zeitpunkt des Therapiebeginns, Komorbidität etc., aber vor allem die Dokumentation der Therapiebeeinflussung durch den Patientenwillen müssen zur Adjustierung der Sterblichkeit im Vergleich mitherangezogen und bei der Analyse der eigenen Patientenverläufe in den M&M-Konferenzen Berücksichtigung finden. Gleichzeitig legt die hohe Sterblichkeitsrate aufgrund einer Therapiebegrenzung in der Frühphase der Behandlung innerhalb der ersten drei Tage nahe, Prognosefaktoren und -modelle in Hinblick auf die Qualität der neurologischen Erholung intensiv zu entwickeln und zu validieren, die für die differenzierte Beratung der Angehörigen herangezogen werden können.

Autor
Prof. Dr. med. Jürgen Meixensberger
Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie
Universitätsklinikum Leipzig
Liebigstraße 20, 04103 Leipzig
Tel.: 0341 / 971 75 00
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Literatur
1 Incidence and impact of withdrawal of life-sustaining therapies in clinical trials of severe traumatic brain injury: A systematic review. Leblanc G et al. Clinical Trials (2018): 1-15
2 Mortality associated with withdrawal of life – sustaining therapy for patients with severe traumatic brain injury: a Canadian multicenter cohort study. Turgeon AF et al. CMAJ (2011): 1581-1588
3 Retrospective impact of no escalation of treatment, withholding and withdrawal of life – sustaining treatment on ICU patients`prognosis: a multicenter study of the Outcomerea Research Group. Lautrette A et al. Intensive Care Med (2015):1763-1772

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