Ein Delir ist eine häufig anzutreffende Komplikation bei Intensivpatienten: ca. 40-80 Prozent der Intensivpatienten weisen ein Delir auf. Es ist charakterisiert durch ein plötzliches und fluktuierendes Auftreten, Störungen in der Aufmerksamkeit, dem Bewusstsein und dem Denken und hat dabei eine organische Ursache. Delirien können sich in hyperaktiver Form äußern, aber auch in hypoaktiver Form, bzw. in gemischter Form. Die Konsequenzen eines Delirs bestehen häufig in einer verlängerten Dauer der Beatmung, des Aufenthaltes auf Intensivstation und im Krankenhaus, einer schlechteren Rehabilitation,

vor allem aber in bleibenden kognitiven Defiziten und verminderter Alltagstauglichkeit sowie erhöhter 1-Jahres-Mortalität. Gefährdet sind hier vor allem hypoaktiv-delirante Patienten. Ein regelmäßiges Screening identifiziert frühzeitig delirante Patienten und entsprechende Maßnahmen können ergriffen werden. Je länger ein Delir dauert, desto schlechter sind das kognitive Outcome und die 1-Jahresmortalität (Oh et al. 2017).

Delirassessment

Um ein Delir festzustellen, ist ein valides Assessment notwendig. Hierzu zählen die Confusion Assessment Method for the Intensive Care Unit (CAM-ICU), die Intensive Care Delirium Screening Checklist (ICDSC) und andere, die z.T. auch für den neurologischen Intensivpatienten validiert worden sind. Die Tests überprüfen vor allem die Aufmerksamkeit, das Denken und basieren auf Beobachtung und klinischer Testung mittels Sprache. Problematisch sind im neurologischen Bereich Patienten mit Aphasien oder anderen Gründen wie einer schweren Demenz sowie andererseits fremdsprachige Patienten, die etwa einem sprachbasierten Test nicht folgen können. Dies ist allerdings kein Argument gegen ein Delirassessment. In einer aktuellen Arbeit zum Delir bei Schlaganfallpatienten konnten lediglich 1,7% der 458 Patienten während des gesamten Aufenthalts nicht untersucht werden, und 3,5% hatten andere Gründe (Nydahl et al., 2017). Der Großteil der Patienten ist somit untersuchbar. Dem Delirscreening kommt auch vorm Hintergrund zunehmender Patientenklagen nach fehlender Aufklärung eine wichtige Bedeutung zu.

Wer screent ein Delir?

In einem online-Survey zum Delirmanagement im deutschsprachigen Raum mit über 700 Teilnehmern (Krotsetis et al. 2017) wurde deutlich, dass zu 59% Pflegende ihre Patienten auf ein Delir screenen, gefolgt von Ärzten mit 48% und konsiliarischen Psychiatern mit 15%. Das Arbeits- bzw. Diagnostikmodell „Pflege screent und bei Verdacht überprüft der Arzt“ wird in 12% angewendet. Als häufigstes Assessment wurde mit 34% die „Beobachtung auffälligen Verhaltens“ angegeben, die natürlich nicht valide ist, aber immerhin 26% nutzen den CAM-ICU, 16% den ICDSC und 21% andere validierte Instrumente. Jeder vierte bis zweite Teilnehmer gab an, mögliche Ursachen für ein Delir zu behandeln. Als die Top 3 der pharmakologischen Behandlung werden zu 67% Haloperidol, 65% Clonidin und 34% Melperon verschrieben. Als die Top 3 der nicht-pharmakologischen Interventionen wurden Frühmobilisierung (77%), Schmerzmanagement (73%) und Bettgitter (72%) angegeben. Da die therapeutische und präventive Wirksamkeit pharmakologischer Interventionen immer mehr hinterfragt wird und aktuelle Empfehlungen (Oh et al, 2017) dahin gehen, a) Pharmazeutika nur symptomorientiert zu geben, b) Polypharmazie zu vermeiden, c) Benzodiazepine als Dauermedikation zu vermeiden, ist es begrüßenswert, dass nicht-pharmakologische Interventionen wie Frühmobilisierung, verbale-Re-Orientierung, Familienedukation und -integration, kognitive Anregungen, Förderung eines natürlichen Schlafs usw. von 40-70% der Befragten genutzt werden.

Wir brauchen einen Quantensprung

Interessanterweise wurden bei dem Survey kaum signifikante Unterschiede zwischen Pflegenden und Ärzten festgestellt. Beide Berufsgruppen sehen ähnliche Barrieren zur Implementierung des Delir-Managements: Zeit und Personalmangel (49%), fehlendes Wissen über Delir (40%), Kommunikationslücken zwischen den Professionen (29%) und andere Faktoren. An dem Personalmangel können wir nichts ändern, aber an

  • der Zeit: wie priorisieren wir die Zeit, die wir mit Delir zu tun haben?
  • dem fehlenden Wissen: immerhin gaben 50% an, mindestens eine Fortbildung zum Delir im letzten Jahr gehabt zu haben; hier empfehlen sich interprofessionelle, interaktive Fortbildungen mit folgendem bedside-teaching sowie Poster, Pocketcards usw. und
  • den Kommunikationslücken: hier vor allem Wertschätzung von Pflegenden, die ein Delir feststellen, und weiter: Delir als Bestandteil von Übergaben, Visiten und Verlegungsbriefen sowie Teil der Einarbeitung und Parameter von internen Evaluationen

Die Delir-Kultur in Deutschland ist reif für einen Quantensprung: alle wissen Bescheid, alle wollen etwas tun, alle Instrumente und Interventionen sind vorhanden. Wir brauchen nur Menschen, die es gemeinsam auf die Stationen und in die Köpfe bringen.

Autorenkontakt:

Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel,
Klinik für Neurologie, Pflegeforschung
Peter Nydahl
Tel.: 0431/5978702
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

 

Referenzen
Oh ES, Fong TG, Hshieh TT, Inouye SK. Delirium in older persons. JAMA 2017; 318(12): 1161-1174.

Nydahl P, Bartoszek G, Binder A, Paschen L, Margraf NG, Witt K, Ewers A. Prevalence for delirium in stroke patients: A prospective controlled study. Brain Behav. 2017 Jun 23;7(8):e00748.

Krotsetis S, Nydahl P, Dubb R, Hermes C, Kaltwasser A, von Haken R. Status quo of delirium management in German-speaking countries: comparison between intensive care units and wards. Intensive Care Med. 2017 Sep 22. doi: 10.1007/s00134-017-4945-3