Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich komme gerade aus Mumbai von der Jahrestagung unserer indischen Partnergesellschaft, der Society of Neurocritical Care (SNCC) zurück und darf die Mitglieder der DGNI von der SNCC herzlich grüßen. Ich war dort Teil der Faculty des Meetings. Das Programm war vielfältig, deckte alle wichtigen Themen der NeuroIntensivmedizin und Notfallversorgung ab. Zentrales Thema war die Versorgung mit eingeschränkten Ressourcen und die Diskrepanz zwischen modernster Medizin in Großstädten und mangelhafter bzw. kaum vorhandener Versorgung in den ländlichen Regionen. Möglicherweise spiegelt dies die Situation in Indien generell wider, wo technische Höchstleistungen (z.B. Raumfahrtprogramm mit Mondlandung und exzellente IT-Performance) neben Hunger und Armut zu finden sind. Das Bestreben ist, die NeuroIntensivmedizin bzw. eine gute Gesundheitsversorgung im Allgemeinen für alle zugänglich zu machen. Gleichzeitig besteht das Problem, genügend qualifiziertes Personal – Intensivpflegepersonal und Intensivmediziner – auszubilden um dies vor Ort flächendeckend zu gestalten.
Ich durfte mit Dr. Geraldine Mariano, einer NeuroIntensivmedizinerin von den Philippinen, eine Sitzung zum Thema „Futuristic Medicine“ leiten, in der insbesondere die Themen „Artificial Intelligence“ und „Telemedicine“ behandelt wurden. Hier scheint ein konstruktiver Ausweg aus der Mangelsituation an qualifiziertem Personal und fehlender Infrastruktur zu sein. Die Überlegungen gehen bis hin zur e-ICU und Tele-ICU.
Zurück nach Deutschland!
Es ist wieder eine neue Reform in Planung. Diese betrifft die „Änderung der Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern“. Einer der zentralen Punkte darin ist die personelle Besetzung der Notaufnahmen in Planung mit ständiger Anwesenheit eines Arztes/einer Ärztin mit der Zusatzweiterbildung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“. Die DGNI hat zu dem Entwurf Stellung genommen und Lösungsmodelle vorgeschlagen, wie durch enge Kooperation zwischen Notaufnahme und den Fachabteilungen eine hochwertige Versorgung von Notfallpatient:innen gewährleistet werden kann. Sie werden sich nun denken, dass das ja ohnehin bereits die gängige Praxis ist.
Grundsätzlich ist die Notfallversorgung in Deutschland sicherlich nicht schlecht, man könnte auch sagen „sehr gut“. Die Rettungs- und Transportzeiten sind geringer als in den meisten anderen Ländern dieser Welt, die Ausstattung der Notaufnahmen – apparativ und personell – ebenfalls. Während die andere große Reform, die „Krankenhausreform“, zumindest eine Begründung für ihre vermeintliche oder tatsächliche Notwendigkeit geliefert hat, nämlich erlössteigernde Übertherapien zu vermeiden, lässt die Reform der Notfallstrukturen eine derartige Begründung vermissen. Es gibt überhaupt keinen Grund zur Annahme (geschweige denn eine Evidenz), dass die geplanten Änderungen zu einer Verbesserung der Versorgung der Notfallpatient:innen führen. Verschiedene Punkte werden gänzlich außer Acht gelassen. Zum Beispiel wird unter dem durchaus gut gemeinten Vorsatz, die Qualität zu verbessern, gefordert, dass für die Notfallversorgung von Kindern die Verfügbarkeit einer Fachärztin oder eines Facharztes für Neurochirurgie mit „nachgewiesener Erfahrung in pädiatrischer Neurochirurgie“ gewährleistet ist. Was das heißt, ist nicht definiert. Streng ausgelegt, könnte dies bedeuten, dass sich die Zahl der Kliniken, die an einer umfassenden Notfallversorgung teilnehmen, stark reduziert und eine Versorgungslage wie in einem Entwicklungsland entsteht. Ein anderer Lapsus ist, dass die Zahl der Kolleginnen und Kollegen mit der Zusatzweiterbildung bei weitem nicht ausreicht, um auch nur einen Bruchteil der deutschen Notaufnahmen zu betreiben. Der Schuss könnte also nach hinten losgehen.
Die Lösungsansätze scheinen unterschiedlich zu sein. Während in „low and middle income countries“ die Verbesserung durch Nutzung bereits bestehender technischer Möglichkeiten gesucht wird, spielen diese in unseren deutschen Reformen so gut wie keine Rolle. Im Gegenteil, sie werden sogar als unzureichend bewertet. Stellt sich die Frage, wie die Krankenversorgung in 30 Jahren aussieht, inwiefern technische Möglichkeiten genutzt werden - und ob wir diese in Deutschland dann auch implementiert haben werden. Vielleicht werden wir ja auch in der Zwischenzeit von der (technischen) Realität überholt.
Beste Grüße
Thomas Westermaier
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