MRC CRASH Trial Collaborators
In: BMJ 2008, 336; 425-429

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2009


Bewertung: ***





Zielstellung:

Zielsetzung der Studie war die Entwicklung eines Modells zur Prognoseeinschätzung von traumatischen Hirnläsionen. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der Praktikabilität und der universellen Einsetzbarkeit - das entwickelte Modell berücksichtigt daher unter Anderem das Einkommenslevel des jeweiligen Landes.

Design:

In die Studie wurden 10.000 erwachsene Patienten aufgenommen, deren Schädel-Hirn-Trauma (SHT) weniger als 8 Stunden zurück lag und deren ermittelter Glasgow Coma Scale (GCS) maximal 14 Punkte betrug.
Als prognostische Variablen gehen dabei in das Modell ein:
1. Alter
2. Geschlecht
3. Unfallursache
4. Zeit von Trauma bis Studieneinschluss
5. GCS bei Einschluss
6. Pupillenreaktion
7. Vorliegen einer extrakraniellen Verletzung
8. Einkommenslevel des jeweiligen Landes
9. CT-Ergebnis
Mit den erhobenen Daten wurden mehrere Prognosemodelle entwickelt, welche die oben beschriebenen Variablen berücksichtigen. Zwei erwiesen sich dabei als besonders praktikabel: ein Basis-Modell welchem klinische und demographische Variablen (Variablen 1-8) zugrunde liegen. Und ein erweitertes Modell ("CT-Model"), mit zusätzlicher Berücksichtigung der Ergebnisse eines CTs (Variable 9).
Beide Modelle sind als web basierte Version frei verfügbar. Ärzte können so zeitnah und unabhängig von ihrem Standort zu einer einheitlichen Prognoseeinschätzung gelangen.

Wichtige Resultate:

  • 81% der Patienten waren Männer
  • 58% der Teilnehmer wurden innerhalb von 3 Stunden eingeschlossen
  • 65% der Trauma-Ursachen waren Autounfälle
  • 79% der Patienten erhielten ein CT
  • 19% der 10.000 Patienten starben innerhalb von 2 Wochen
  • 24% der 10.000 Patienten starben innerhalb von 6 Monaten
  • 37% der 10.000 Patienten starben oder waren nach 6 Monaten schwer behindert

Daraus wird in der Studie eine lineare Beziehung zwischen höherem Alter (grösser 40J) und Mortalitätsanstieg sowie zwischen niedrigerem GCS und Mortalitätsanstieg gefolgert. Interessant dabei: Die 14-Tages-Mortalität war in Ländern mit niedrigerem Einkommenslevel höher. Die 6Monats-Mortalität war dagegen unabhängig vom Standard des jeweiligen Landes. In Ländern mit niedrigerem Einkommenslevel war das Alter der wichtigste Prognosefaktor. Bei höherem Einkommenslevel dagegen stellte der GCS den wichtigsten Indikator dar. Die Pupillenreaktion war unabhängig vom Bruttosozialprodukt der dritt wichtigste Prognosefaktor. Im erweiterten CT-Modell wurde der Verschluss der 3. Ventrikels oder ein nicht ausgeräumtes Hämatom stets mit höherer Mortalität verbunden.

Schlussfolgerung:

Mit den vorgeschlagenen Modellen und deren web basierter Umsetzung ist es somit möglich, eine schnelle und weltweit einheitliche Prognose zu erstellen. Die Einbeziehung von demographischen und wirtschaftlichen Daten ergibt dabei eine deutlich präzisere Vorhersage als bisher. Das favorisierte Basis-Modell und dessen Erweiterung ("CT-Model") sind dabei so entworfen, dass eine größtmögliche Praktikabilität erreicht werden konnte.

Kommentar:

Eine Einschätzung der Prognose ist wichtige Grundlage für therapeutische Entscheidungen des Klinikers. Mit dieser Studie wurden ihm leicht zugängliche Modelle zur Einschätzung von Patienten mit traumatischer Hirnläsion an die Hand gegeben. Die Ergebnisse der Studie korrelieren dabei mit vorangegangen Studien für Länder mit einem hohen Einkommenslevel. Bisher nicht oder nur kaum beachtete Punkte wie extrakranielle Verletzungen oder leichtes SHT wurden erstmalig mit in eine Studie dieser Art einbezogen.
Das wesentlich Neue ist jedoch, dass auch Länder mit niedrigerem Einkommen berücksichtigt wurden. Bisher gab es keine oder nur sehr wenige Daten zu traumatischer Hirnläsion aus diesen Regionen. Doch gerade dort ist das SHT eine sehr häufige Behinderungsursache, besonders bei jüngeren Patienten.
Die Umsetzung der Modelle als anwendungsfreundlicher, im Internet verfügbarer Rechner (http://www.crash2.lshtm.ac.uk/Risk%20calculator/index.html) kann bei einer Prognoseentscheidung helfen, ist jedoch nicht alleinig ausschlaggebend. Es ist fraglich, ob in Ländern mit niedrigerem Einkommen diese Methodik tatsächlich angewandt werden kann, da gerade hier flächendeckender, stabiler Internet-Zugang fehlt. Kritisch zu beurteilen bleibt zudem die Korrelation zwischen Bruttosozialprodukt und der Güte des Gesundheitswesens. Es sind sicherlich noch weitere Studien über die Wechselwirkung zwischen Effizienz des Gesundheitswesens und Einkommenslevel eines Landes notwendig um die Aussagekraft der Studie zu beweisen.

Insgesamt handelt es sich um eine gut durchgeführte Studie, die einige neue Erkenntnisse in sich birgt. Darüber hinaus gibt sie dem Kliniker ein Werkzeug an die Hand, welches zu einer schnellen Prognoseeinschätzung führen kann.

(F. Schmidpeter)