Pandharipande PP, Pun BT, Herr DL et al.
In: JAMA 2007, 298; 2644-2653

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

Nima09


Bewertung: **





Zielstellung:

Bei beatmeten Patienten ist meistens eine Analgosedierung notwendig, um Schmerzen und Ängsten zu begegnen. Besonders häufig werden Benzodiazepine eingesetzt. Diese führen häufig zu unerwünscht starker Sedierung oder deliranten Symptomen. Alpha2-Adrenozeptoragonisten (z.B. Clonidin) stellen eine Alternative zu GABA-ergen Substanzen dar, sind aber bisher noch kaum systematisch gegen Benzodiazepine getestet worden. In der vorliegenden Studie wurde der in den USA zugelassene Alpha2-Adrenozeptoragonist Dexmedetomidin mit Lorazepam bei nicht-neurologischen beatmeten Patienten verglichen, und zwar im Hinblick auf das Auftreten und die Dauer von Koma und Delir.

Design:

Es handelt sich um eine doppel-blinde, prospektive, randomisierte Studie an zwei amerikanischen Zentren. Insgesamt wurden 106 beatmete nicht-neurologische Patienten eingeschlossen. Es erfolgte eine Sedierung mit Dexmedetomidin oder Lorazepam für maximal 120 Stunden. Die maximale Dosierung betrug 1,5 ug/kg/h Dexmedetomidin oder 10 mg/h Lorazepam. Bis zu dieser Maximaldosis erfolgte eine Titrierung nach der "Richmond Agitation-Sedation Scale (RASS)". Die Verdünnung der Medikamente war so gewählt, dass eine ärztliche Verblindung gewährleistet blieb. Bei Patienten, die länger als 120 Stunden einer Sedierung bedurften, wurde diese nach den jeweiligen hauseigenen Standards fortgesetzt. Primäre Endpunkte waren Tage ohne Delir und Koma sowie Tage, bei denen die gewünschte Sedierung erreicht wurde. Zur Definition des Delirs wurde die "Confusion Assessment Method for the ICU (CAM-ICU)" verwendet. Dabei werden vier verschiedene Aspekte aus den Bereichen Kognition, Aufmerksamkeit und Vigilanz bewertet. Ist einer der vier Aspekte auffällig, so ist das Kriterium des Delirs erfüllt. Koma war definiert als Reaktion nur auf physischen Stimulus oder fehlende Reaktion auf physischen Stimulus.

Wichtige Resultate:

Die Behandlung mit Dexmedetomidin führte im Vergleich zur Behandlung mit Lorazepam zu mehr Tagen ohne Koma/Delir (Median 7 vs. 3 Tage; p < 0.01). Die Kriterien des Komas waren unter Dexmedetomidin seltener erfüllt (63% vs. 92%; p < 0.001). Die gewünschte Sedierung wurde unter Dexmedetomidin häufiger erreicht (80% vs. 67%; p = 0.04).

Schlussfolgerungen:

Bei beatmeten nicht-neurologischen Patienten führt die Sedierung mit dem Alpha2-Adrenozeptoragonist Dexmedetomidin im Vergleich zu Lorazepam zu mehr Tagen ohne Koma oder Delir und zu einem häufigeren Erreichen des gewünschten Sedierungsniveaus.

 

Kommentar:

Es ist durchaus wahrscheinlich, dass eine differenzierte Analgosedierung die Erholung von beatmeten Intensiv-Patienten positiv beeinflussen könnte. In der Praxis aber folgt die Sedierung der Patienten auch in der Neurologie meist einem rigiden im jeweiligen Haus etablierten Standard-Schema, meist unter Einbeziehung von Benzodiazepinen. In der vorliegenden Studie scheint eine Alpha-2-adrenerge Therapie einer GABA-ergen Therapie überlegen.
Methodisch problematisch ist in der Studie die kontinuierliche Infusion von Lorazepam wegen dessen langer Halbwertszeit von über 10 Stunden. Eine fraktionierte Bedarfs-Medikation wäre wahrscheinlich günstiger, sie entspräche auch eher der gängigen Applikationsform. Allerdings wäre dann eine Verblindung gegen Dexmedetomidin nicht mehr möglich gewesen.
Leider hat die vorliegende Studie (was man ihr nicht ankreiden kann) relativ wenig mit der Situation neurologischer Intensiv-Patienten in Deutschland zu tun. Erstens ist Dexmedetomidin in Deutschland nicht zugelassen, zweitens wird hierzulande wesentlich häufiger Midazolam (kürzere Halbwertszeit) als Lorazepam eingesetzt und drittens wurden in der vorliegenden Studie neurologische Patienten explizit ausgeschlossen. Insofern ergeben sich keine direkt ableitbaren Konsequenzen für neurologische Intensivpatienten in Deutschland. Immerhin lassen die positiven Ergebnisse der Studie aber vermuten, dass auch in der neurologischen Intensivmedizin klinischer Forschungsbedarf besteht, um die Analgosedierung erholungsrelevant zu optimieren.

(Pfefferkorn, Thomas, PD Dr., Klinikum der Universität München, Klinik für Neurologie, Marchioninistr. 15, 81377 München)