Van Rompaey B, Schuurmans MJ, Shortridge-Baggett LM, Truijen S, Elseviers M, Bossaert L 

In: Critical Care 2008; 12: 131

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA 2009


Bewertung: ****





Zielstellung:

Verwirrtheitszustände sind bei Intensivpatienten sehr häufig anzutreffen. Bisher wurde überwiegend der Confusion Assessment Method for the Intensive Care Unit (CAM-ICU) Test verwendet. Dieser Test unterscheidet lediglich zwischen Verwirrtheit und nicht-Verwirrtheit. Die kürzlich validierte Neelon and Champagne Confusion Scale (NEECHAM) skaliert die Befunde und soll eine differenziertere Einteilung des Grades der Verwirrtheit zulassen.


Design:

Es wurden 172 nicht-intubierte Patienten auf verschiedenen Intensivstationen mit beiden Instrumenten untersucht und die Ergebnisse verglichen.


Wichtige Resultate:

Beide Untersuchungsverfahren waren in der Lage, den Zustand der Verwirrtheit zu erfassen. Im Falle des CAM -ICU wurden 19.8% des Gesamtkollektivs als
verwirrt eingestuft. Im Falle des NEECHAM wurden 20.3% als verwirrt klassifiziert. Zusätzlich wurden 24% als desorientiert und 30% als grenzwertig verwirrt eingestuft.
Somit haben beide Untersuchungsverfahren etwa gleich viele Patienten als verwirrt eingestuft. Wegen der höheren Differenzierungsmöglichkeit des NEECHAM konnten auch grenzwertig verwirrte und gefährdete Patienten identifiziert werden. Der Vorteil der höheren Differenzierung liegt vor allem in der Erfassung von gefährdeten Patienten, bei denen eine prophylaktische Therapie möglicherweise den Ausbruch einer deliranten Symptomatik verhindern könnte.


Schlussfolgerungen:

Die Ergebnisse der neueren NEECHAM Untersuchung zeigen ähnliche Detektionsraten von Verwirrtheit wie der bisherige Goldstandard in Form des CAM-ICU.
Wegen der differenzierteren Klassifikationsmethode können mit der NEECHAM Methode auch Patienten erfasst werden, die noch nicht manifest verwirrt sind und die möglicherweise von einer prophylaktischen Therapie profitieren könnten.

Kommentar:

Organische Psychosyndrome sind bei Patienten auf Intensivstationen sehr häufig anzutreffen. Die Nomenklatur der organischen Psychosyndrome ist uneinheitlich und in den verschiedenen Sprachen ganz unterschiedlich. In der hier vorliegenden Publikation wird die Bezeichnung "delirium" in der Definition des DSM IV verwendet. Die Definition des DSM IV besagt, dass es sich um einen Zustand rasch wechselnder psychischer Auffälligkeit handelt, bei dem eine Störung des Bewusstseins mit daraus folgender Störung der Kognition vorliegt.
Dieser Zustand wird im Deutschen am ehesten als Verwirrtheit eingestuft. Im Deutschen wird die Begrifflichkeit Delir vorwiegend bei gleichzeitig bestehender psychomotorischer Unruhe oder Agitiertheit verwendet. Hier zeigt sich also eine grundlegende Problematik der Verwendung von Begrifflichkeiten in der Psychopathologie. Daher sind auch Ergebnisse von Untersuchungen in anderen Sprachkreisen häufig nur bedingt in andere Sprachen übertragbar.
Haupt et al. haben kürzlich eine Zusammenstellung der Nomenklatur von organischen Psychosyndromen publiziert: Haupt WF, Hansen HC, Firsching R, Henze T, Horn M, Rudolf J: Organische Psychosyndrome: Eine Synopsis mit kritischer Würdigung. Intensivmed. (2008).
Im vorliegenden Kollektiv von nicht-neurologischen internistischen und chirurgischen Patienten wurden 20% der Patienten als verwirrt eingestuft. Beide Messinstrumente erfassten die gleiche Anzahl von Patienten als verwirrt. Da die CAM-ICU nur zwischen Verwirrt und nicht-verwirrt unterscheiden kann, ist sie in Hinblick auf die Erfassung von Patienten mit drohender oder beginnender Verwirrtheit nicht einsetzbar.
Die interessante These der Arbeit besteht darin, dass die Autoren vermuten, dass bei differenzierter Untersuchung mit der NEECHAM Methode solche Patienten erfasst werden könnten, die noch nicht verwirrt sind und ein hohes Risiko haben, demnächst verwirrt zu werden. Diese Patienten könnte man dann durch eine prophylaktische Therapie abfangen und die Entwicklung der Verwirrtheit verhindern. Die Autoren äußern sich aber nicht dazu, welche Therapie eingesetzt werden könnte.
Insgesamt handelt es sich um eine sorgfältige Studie an einer grossen Patientenzahl mit einem klaren Ergebnis und einer interessanten These.

(Haupt, Walter, Prof. Dr., Universitätsklinikum Köln, Neurologische Klinik, Joseph-Stelzmann-Str. 9, 50924 Köln)