Eijk MMJ, van Marum RJ, Klijn IA et al.                                                                                                                                                                                   In: Critical Care Medicine 2009 Band 37:1881 - 1885

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2010


Bewertung: ***





Zielstellung:

Bestimmung der Sensitivität und Spezifität von Screeningmethoden zur Feststellung des deliranten Psychosyndroms auf der Intensivstation durch ärztliches und pflegerisches Personal.

 

Design:

Prospektive monozentrische Beobachtungsstudie an gemischten (n = 126) konsekutiven Intensivpatienten einschließlich neurologischer, neuro- und kardiochirurgischer Patienten.


Resultate:

Im Vergleich zweier Deliriumscreeninginstrumente gegenüber klinischer Diagnostik als Goldstandard (neuropsychiatrische Beurteilung auf Basis von DSM IV) schneidet die Beurteilungsskala CAM-ICU (Confusion assessment method for the ICU) gegenüber der ICDSC (Intensive Care Delirium Screening Checklist) hinsichtlich der Sensitivität leicht besser ab (64% vs. 43%). Dies gilt auch für den negativen Vorhersagewert (83% vs. 75%). Die ICDSC liefert hingegen eine höhere Spezifität (95% vs. 88%) und höheren positiven Vorhersagewert (82% vs. 72%) als die CAM-ICU. Die Sensitivität der Beurteilung durch den jeweil diensthabenden Arzt (physicians view) lag nur bei 29%.

 

Schlussfolgerungen:

Die Autoren schließen, dass Intensivärzte die Diagnose "Delirium auf der Intensivstation" zu selten stellen und unterstreichen hiermit die Notwendigkeit einer standardisierten Evaluation möglichst aller Intensivpatienten. Favorisiert wird wegen der Sensitivität der CAM-ICU als Screeningmethode.

 

Kommentar:

Diese Arbeit widmet sich in prospektiver Untersuchung an einem recht gemischten Krankheitsgut mittlerer Schwere (mittlerer Apache II-Score um 21) der Frage des Nutzens einer standardisierten und routinemäßigen Deliriumtestung, wie sie in guidelines der Fachgesellschaft (z.B. SCCM) empfohlen wird. Das Verdienst der Arbeit liegt darin, zum ersten Mal beide gebräuchliche Scores mit dem Goldstandard der neuropsychiatrischen Untersuchung im gleichen Untersuchungsgut zu testen und danach spüren diese Testskalen ca. die Hälfte bis 2/3 der als delirant diagnostizierbaren Patienten auf.
Wichtiger ist das Ergebnis einer dagegen im Routineschichtdienst zu selten gestellten Diagnose "Delir" mit einer Sensitivität unter 30%. Interessanter Weise trifft dieses - soweit Vergleiche bei niedrigeren Fallzahlen es gestatten - auch für das sog. hyperaktive Delirium zu.
Die methodischen Einschränkungen dieser Arbeit liegen sicherlich darin, dass im deliranten Psychosyndrom die Symptomatik rasch wechseln kann und auch hier die verschiedenen Untersuchungsinstrumente bzw. die neuropsychiatrische Referenzuntersuchung nicht immer zu gleichen Zeitpunkten / Medikationsbedingungen erfolgen konnte. Kritisierbar an dieser Arbeit aus neurologischer Sicht bleibt die letztlich geringe Zahl von Delir-Diagnosekriterien erfüllender Patienten mit insgesamt 43 von 126 Patienten, was einer Delir-Rate von 34% gleichkommt.
Letztlich weisen die Autoren nach, dass mit diesen Screening-Instrumenten eine höhere diagnostische Rate an deliranten Psychosyndromen erzielt werden kann, was für die Ressourcenkalkulation in der Intensivmedizin von Bedeutung sein kann. Das delirante Psychosyndrom macht Arbeit und findet Berücksichtigung in weiten Bereichen der DRG-Systematik, sowohl in der CC-Matrix, als auch in einzelnen DRG`s.
In der Gesamtschau aller Befunde weist diese Untersuchung darauf hin, dass die regelmäßige neuropsychiatrische Untersuchung auch beim Intensivpatienten nicht durch das alleinige Führen von Screeningprotokollen ersetzt werden kann. Sie liefert damit ein Plädoyer für die fachspezifische Betreuung auf den neurologischen Intensivstationen. Für andere Fachgebiete mag die Einführung solcher Tools dagegen einen größeren Zuwachs an Informationen erbringen, dieses bedürfte aber einer eigenen Untersuchung.

(H.-C. Hansen)