McKeon A, Frye MA, Delanty N                                                                                                                                                                                            In: J Neurol Neurosurg Psychiat 79: 854-862 (2008)

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2010


Bewertung: ***





 

Der Übersichtsartikel von US- amerikanischen und irischen Neurologen und Psychiatern befasst mit dem Alkohol- Entzugssyndrom, das in ein Alkoholdelir einmünden kann.
In der Einleitung wird die Epidemiologie und Pathophysiologie des Entzugssyndroms dargestellt. Die klinischen Befunde des Syndroms werden gemäss DSM-IV dargestellt. Breiten Raum nimmt die Darstellung des Fragebogens CIWA-Ar (Clinical Institute Withdrawl Asssessment Scale for Alcohol, revised) (Sullivan et al. (1989)).
Dieses Instrument enthält 10 Items (Übelkeit und Erbrechen, Tremor, Schwitzen, Angst, Innere Unruhe, sensible Reizerscheinungen, auditive Erschienungen, visuelle Erscheinungen, Kopfschmerzen und Orientierungsstörungen. Für jeden Symptomenkomplex werden je bis zu 7 Punkten, für das letzte Item bis zu 4 Punkten vergeben. Die maximale Punktezahl beträgt 67 Punkte. Mit diesem Instrument kann das Ausmass der vegetativen und psychischen Symptome erfasst werden und die Schwere des deliranten Syndroms quantifiziert werden.
Im Weiteren wird die Behandlung des Alkohol- Entzugssyndroms dargestellt, wobei als Medikamente der ersten Wahl Benzodiazepine, insbesondere Lorazepam, aufgeführt werden. Die Vor- und Nachteile der verschiedenen Benzodiazepine werden diskutiert. Dabei muss zwischen dem glatterem Verlauf und der höheren Sicherheit der Verhinderung eines Alkoholdelirs unter langwirksamen Benzodiazepinen (Diazepam, Chlordiazepoxid)auf der einen Seite und der höheren Behandlungssicherheit unter kurzwirksamen Benzodiazepinen (Lorazepam) auf der anderen Seite abgewogen werden.
Antikonvulsiva werden ebenfalls als Behandlungsmöglichkeit abgehandelt. Es wird das Carbamazepin als bevorzugtes Medikament in den Vordergrund gestellt, erwähnt werden auch Valproinsäure, Gabapentin und Vigabatrin.
Als weitere aber wenig untersuchte Medikamente werden noch Tiaprid, Baclofen und Amisulprid erwähnt.
Die Komplikationen des Alkohol-Entzugsyndroms werden erwähnt:
Die Alkohol-Entzugsanfälle werden beschrieben. Das Delirium tremens, alos das Alkohol-Delir wird in seinen klinischen Befunden dargestellt. Die Autoren gehen auf die Probleme des Thiamin- Mangels und die Wernicke- Encephalopathie ein. Die entsprechenden Behandlungen werden beschrieben. Schliesslich wird der Komplex der Hyponatriämie behandelt. Die psychiatrischen Komorbiditäten der Patienten mit Alkohol-Entzugssyndrom werden erwähnt und diskutiert. Hier werden die bipolare Depression I und II angeführt wie auch die Schizophrenie.

In der Schlussfolgerung stellen die Autoren fest, dass das Alkohol-Entzugsyndrom eine häufige Situation im Krankenhaus darstellt und dass es zu verschiedenen schweren Komplikationen führen kann. Es wird ein kombinierter Behandlungsansatz mit Berücksichtigung neurologischer und psychiatrischer Aspekte empfohlen.

 

Kommentar:

Das Alkohol-Entzugsyndrom ist sicher ein häufig auftretendes Problem in allen Krankenhausabteilungen, nicht nur in neurologischen und psychiatrischen Fachabteilugnen. Die Behandlung sollte rasch einsetzen und nach Möglichkeit den Ausbruch eines Vollbildes des Alkoholdelirs verhindern. Während Neurologen und Pychiater in der Regel die Gefahr des Alkohol-Entzugsyndroms und des Alkoholdelirs kennen, wird das Entzugsyndrom und das beginnende Delir von anderen Fachgebieten oft unterschätzt.
Die von den Autoren diskutierten medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten
(Benzodiazepine und Antikonvulsiva) entsprechen im wesentlichen den Standards der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) für die Behandlung des Alkoholdelirs, mit der deutlichen Ausnahme, dass Clomethiazol als Medikament nicht erwähnt wird, da es in den USA und anderen Ländern nicht zugelassen ist. Hier ist anzumerken, dass Clomethiazol nicht parenteral verabreicht werden kann.
Die Autoren bevorzugen insgesamt das Lorazepam, sowohl in der Behandlung des Alkohol-Entzugsyndroms, des Delirium tremens und der Alkohol-Entzugsanfälle. Es wird hervorgehoben, dass dieses kurzwirksame Benzodiazepin sehr gut steuerbar ist und auch parenteral verabreicht werden kann. Damit kristallisiert sich ein "Allround-Medikament" für diesen Symptomenkomplex heraus. Es hat Einiges für sich, wenn man nicht auf eine Vielzahl verschiedener Medikamente zugreift, sondern sich auf eine geringen Anzahl von Medikamenten begrenzt, mit denen man aber viel Erfahrung hat und deren Wirkungsweise und Nebenwirkungen man kennt.
Der Artikel ist insgesamt informativ und praxisorientiert. Er berücksichtigt sowohl die internistischen als auch die neurologischen und psychiatrischen Aspekte der Erkrankung. Er liefert konkrete Handlungsanweisungen und Medikamentendosierungen für das Management des Alkohol-Entzugsyndroms und der möglichen Komplikationen. Insoweit dient der Artikel als Übersicht über das Krankheitsbild und kann vor allem von Ärzten, die nicht regelmässig mit Patienten mit einem drohenden Alkoholdelir konfrontiert sind, als Orientierungshilfe verwendet werden.
Es werden keine Untersuchungsergebnisse oder eigene Erhebungen dargestellt.
Neue Erkenntnisse über die Alkoholkrankheit werden nicht vermittelt.

(W. Haupt)