R.D. Stevens, N.S. Naval, M.A. Mirski, G. Citerio, P.J. Andrews
In: Intensive Care Med 2009; 35 (9): 1556-66

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2010


Bewertung: ***





Zielstellung:

Patienten mit einer Subarachnoidalblutung (SAB) werden üblicherweise zur Behandlung neurologischer oder systemischer Komplikationen auf eine Intensivstation aufgenommen. Große Teile der aktuellen Richtlinien zur Behandlung von Patienten mit SAB sind jedoch von geringer Evidenz, da zugrundeliegende Studien von geringer Qualität sind, widersprüchliche Ergebnisse erbrachten oder ganz fehlen.
In der vorliegenden Studie sollte geklärt werden, wie Ärzte auf Intensivstationen Patienten mit einer aneurysmalen SAB behandeln und inwieweit diese Vorgehensweise aktuellen Behandlungsempfehlungen entspricht.

 

Design:

Ein Fragebogen mit 45 Punkten wurde 2006 an Ärzte in verschiedenen Ländern (51% USA und Kanada, 35% Europa, 14 % andere Länder) verschickt, die auf Intensivstationen arbeiteten und in die Behandlung von Patienten mit einer SAB involviert waren. Beteiligt waren Anästhesisten (38%), Internisten (29%), Neurologen (14%) und Neurochirurgen (8%). Die teilnehmenden Ärzte wurden über verschiedene Fachgesellschaften für Intensivmedizin ausfindig gemacht und kontaktiert. Zudem bestand die Möglichkeit den Fragebogen auf einer Homepage zu bearbeiten. 626 Fragebögen konnten schließlich ausgewertet werden.

 

Wichtige Resultate:

Die Vorgehensweise der einzelnen Ärzte verschiedener Intensivstationen war bei der Behandlung von Patienten mit einer aneurysmalen SAB unterschiedlich. Zudem bestand häufig eine deutliche Diskrepanz zwischen der angewandten Behandlungsstrategie und bestehenden Richtlinien. Deutliche Behandlungsunterschiede waren sowohl zwischen den Teilnehmern aus Nordamerika und Europa festzustellen als auch zwischen Zentren die jährlich viele (> 40) Patienten oder wenige Patienten (≤ 40) mit einer SAB behandelten.


Schlussfolgerungen:

Die Autoren ziehen die Schlussfolgerung, dass die unterschiedliche Behandlungsweise das Outcome von Patienten mit einer SAB ungünstig beeinflussen kann, insbesondere wenn Maßnahmen, die anerkanntermaßen einen positiven Einfluss auf das Outcome haben nicht ergriffen werden oder wenn nutzlose oder dem Patienten schadende Behandlungsstrategien angewandt werden.

 

Kommentar:

Es handelt sich hier um eine gelungene Übersichtsarbeit, die einen Einblick in die derzeitigen Behandlungsmethoden der aneurysmalen SAB und ihrer Komplikationen gibt. In einem ersten Schritt gehen die Autoren auf die von den Ärzten gewählten Behandlungsstrategien ein. Hierbei werden die gewählte Diagnostik (digitale Subtraktionsangiographie versus CT-Angiographie), die medikamentöse Behandlung vor Ausschalten des Aneurysmas (Wahl des blutdrucksenkenden Mittels, ggf. antifibrinolytische Therapie), die Behandlungsform des Aneurymas (Clipping versus Coiling), das Monitoring der Vitalparameter und die Vasospasmusdetektion und -behandlung beleuchtet.
In einem zweiten Schritt werden die gewählten Behandlungsstrategien mit den Ergebnissen aktueller Studien und den hieraus resultierenden Empfehlungen verglichen. Zudem wird angegeben, wie viel Prozent der Teilnehmer aus Nordamerika und Europa und wie viel Prozent größerer Zentren (> 40 SAB-Patienten pro Jahr) bzw. kleinerer Zentren (≤ 40 Patienten mit SAB pro Jahr ) sich für die einzelne Therapie entschieden.
Auffällig war, dass größere Zentren eher die in der Literatur empfohlenen Strategien anwandten. So wurde in kleineren Zentren seltener Nimodipin gegeben, seltener eine Thromboseprophylaxe mit Heparin durchgeführt, seltener Fieber gesenkt oder ein Aneurysma innerhalb von 48 Stunden ausgeschaltet, obwohl der Nutzen der jeweiligen Maßnahmen durch Studien belegt ist. Dies legt nahe, dass Patienten mit einer aneurysmalen SAB möglichst rasch in ein Zentrum verlegt werden sollten, das ausreichend Erfahrung in der Behandlung dieses Krankheitsbildes hat. Die Gründung und Aufrechterhaltung solcher Zentren sollte durch die Gesundheitssysteme der einzelnen Länder gefördert werden.
Das Design der Studie erlaubt leider nicht, die jeweilige Behandlungsstrategie der einzelnen Fachbereiche zu vergleichen. So ist es zwar interessant zu wissen welche Behandlungsform in Nordamerika und Europa gewählt wurde. Relevanter wäre aber zu erfahren, wofür sich die einzelnen Fachbereiche entschieden. Denkbar wäre z.B., dass Ärzte einer neurologischen oder neurochirurgischen Intensivstation eher die Ergebnisse aktueller Studien kennen und in die Wahl ihrer Behandlung einbeziehen als die Ärzte anderer Disziplinen. Es sollten Studien durchgeführt werden, die diesen Sachverhalt untersuchen.
Die deutliche Diskrepanz der einzelnen Behandlungsmaßnahmen begründet sich auch in dem Mangel an aussagekräftigen Studien. So ist z.B. die kontrollierte Blutdrucksenkung in der Frühphase einer SAB eine weithin anerkannte Maßnahme. Dennoch gibt es keine Studie die einen direkten Zusammenhang zwischen Blutdruck und Nachblutungsrisiko belegt. Auch hinsichtlich des Wertes der Triple-H Therapie zur Behandlung eines Vasospasmus fehlen ausreichend dimensionierte randomisiert-kontrollierte Studien. Da das Outcome eines Patienten mit einer SAB nicht allein durch die Behandlung einer einzelnen Komplikation oder allein durch die Wahl einer bestimmten Intervention bestimmt wird, könnten derartige Studien wesentlich zur Verbesserung der Mortalität und Morbidität beitragen.


(A. Völkel, R. Haberl)