Bagshaw S M, Webb SA, Delaney A et al. 

In: Critical Care 2009, 13: R 45

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2010


Bewertung: ***





Zielstellung:

Alte Patienten haben eine höhere Prävalenz chronischer Erkrankungen und vorbestehender funktioneller Einschränkungen, so dass die Wahrscheinlichkeit einer Krankenhausbehandlung und einer Aufnahme auf einer Intensivstation an Wahrscheinlichkeit zunimmt. Die aktuelle Arbeit evaluierte die Häufigkeit, die klinischen Begleitumstände und das Behandlungsergebnis alter Patienten ≥ 80 Jahre, die auf einer Intensivstation behandelt wurden. Es soll die Frage beantwortet werden, welche Faktoren mit dem Behandlungsergebnis alter Patienten auf der Intensivstation korrelieren und eine Schätzung abgegeben werden, wie sich die Aufnahmezahlen alter Patienten auf Intensivstationen in den nächsten Jahren entwickeln werden.


Design:

Im Zeitraum Januar 2000 bis Dezember 2005 wurden aus einer Datenbank von 57 Intensivstationen alle Patienten mit einem Aufenthalt länger als 24 Stunden analysiert. Neben den üblichen Basisdaten zu Alter, Geschlecht, Diagnosen, Komorbiditäten, Dauer einer eventuellen Beatmung und physiologischen und Labordaten wurde die Schwere der Erkrankung anhand des Apache II und III Scores erfasst. Die prozentuale Aufnahme von Patienten ≥ 80 Jahre, die Änderung der Aufnahmezahlen während des Beobachtungszeitraums sowie die Mortalitätsraten wurden analysiert. Mit dem Überleben assoziierte klinische Faktoren und Gruppenanalysen für Patienten ≥ 850, ≥ 85 und ≥ 90 Jahre wurden ausgewertet.


Wichtige Resultate:

Es wurden 15.640 Patienten ≥ 80 Jahre (13% der Gesamt-ITS-Population) erfasst. Alte Patienten hatten eine höhere Komorbidität, waren schwerer erkrankt, wurden seltener endotracheal beatmet und häufiger von Pflegeheimen zugewiesen. Die Mortalität war bei alten Patienten höher (Mortalität auf der ITS 12% versus 8,2%, P < 0,001; Krankenhausmortabilität 24% versus 13%, P < 0,001). Eine multivariate Analyse ergab eine Assoziation des Alters ≥ 80 mit höherer IST- und Krankenhausmortalität im Vergleich zu Patienten jünger als 80 Jahre (odds ratio [OR] 2,7 auf ITS, 95% CI 2,4 - 3,0; OR im Krankenhaus 5,4, 95% CI 4,9 - 5,9). Die Zuweisung aus einem Pflegeheim, ein hoher Grad an Komorbiditäten, ein internistischer im Gegensatz zu einem chirurgischen Aufnahmegrund, schwererer Krankheitsverlauf, endotracheale Beatmung und die Länge des Aufenthaltes auf der Intensivstation korrelierten mit einer geringeren Überlebenswahrscheinlichkeit. Patienten ≥ 80 Jahre wurden häufiger in eine Rehabilitationsklinik oder ein Pflegeheim verlegt (12,3% versus 4,9%, OR 2,7, 95% CI 2,6 - 2,9). Jährlich wurden 5,6% mehr alte Patienten auf die Intensivstation aufgenommen. Dies entspricht einem zusätzlichen Bedarf an ITS Betten von 72,4% bis 2015.


Schlussfolgerungen:

1.    Die Zahl der alten Patienten (≥ 80 Jahre), die auf Intensivstationen aufgenommen werden, nimmt rasch zu.
2.    Auch wenn alte Patienten auf der ITS höhere Komorbiditäten aufweisen, öfter in Rehakliniken oder Pflegeheime verlegt werden und eine höhere Mortalität aufweisen,  überleben etwa 80% den Aufenthalt auf der Intensivstation bzw. im Krankenhaus. Diese Daten zeigen somit, dass der Intensivbettenbedarf aufgrund der demographischen Entwicklung mit der Zunahme alter Menschen in Zukunft deutlich ansteigen wird.


Kommentar:

Diese wichtige Studie aus den mit der Bundesrepublik durchaus vergleichbaren Industrieländern Australien und Neuseeland zeigt in einer retrospektiven Analyse von mehr als 120.000 Intensivstationsaufnahmen auf 57 Intensivstationen über einen Zeitraum von 6 Jahren, dass alte Patienten durchaus von der intensivmedizinischen Behandlung profitieren, auch wenn die Komorbidität und der Krankheitsverlauf schwerer sind. Des Weiteren ist die Mortalität alter Patienten erwartungsgemäß höher und die Wahrscheinlichkeit, dass alte Menschen hilfsbedürftig bleiben und in Pflegeheime verlegt werden müssen, ist ebenfalls nicht verwunderlich. Von den 80% der Patienten, die den Krankenhausaufenthalt überlebten, werden viele keine befriedigende Lebensqualität aufgewiesen haben. Dieser wichtige Aspekt sollte in zukünftigen Studien untersucht werden.

Wie bereits frühere Untersuchungen zeigten, werden alte Patienten auf der Intensivstation weniger aggressiv behandelt. So wurde auch in der aktuellen Studie festgestellt, dass alte Patienten seltener endotracheal beatmet werden, auch wenn sie genauso schwer erkrankt sind wie jüngere Patienten. Dieses Studienergebnis deckt sich mit der Abwägung der Sinnhaftigkeit einer aggressiven Therapie bei schwer erkrankten alten Menschen. Dies führt insofern zu einem Bias, als vor allem biologisch jüngerer "Alte" auf die ITS verlegt werden. Bzgl. Dieses Bias hat die Studie keine ausreichenden Daten erhoben.
Auch wenn das Alter mit einer höheren Morbidität und Mortalität einhergeht, ist es nicht gerechtfertigt, Patienten jenseits der 80er generell eine weniger intensive Therapie zukommen zu lassen. Dies deckt sich mit Studien, die zeigen, dass alte Patienten sehr wohl von einer Stroke-Unit Behandlung oder aber der Thrombolyse profitieren. Wichtig ist der prämorbide Status des Patienten und die Schwere und Behandelbarkeit der Erkrankung. So schwierig dies in Studien zu fassen ist, spielt das biologische eine größere Rolle als das chronologische Alter. Alte Patienten mit einer akuten schweren Erkrankung profitieren sehr wohl von der Intensivmedizinischen Behandlung, wenn sie in einem guten Gesundheitszustand sind und nur eine geringe Komorbidität besteht. Diese "fitten Alten" stellen einen Phänotyp dar, der größere physiologische Reserven trotz höheren Alters aufweist. Es sind aber genauere Methoden erforderlich, um diese Patienten in Zukunft besser charakterisieren zu können. Nachteile der Studie sind die üblichen Probleme einer retrospektiven Analyse eines großen Registers. Eine wichtige Aussage ist, dass die Zahl der benötigten Intensivbetten aufgrund der demographischen Entwicklung in den nächsten Jahren massiv ansteigen wird.

(J. Röther)