PD Dr. Hartmut Meierkord

 

Einleitung:

Beim nicht-konvulsiven Status epilepticus (NSCE) müssen mögliche negative Folgen des Status selbst und unerwünschte Therapie-effekte gegeneinander abgewogen werden. Die Behandlung sollte keine größere Gefährdung als die Krankheit selbst für den Patienten darstellen. Um zu einer ausgewogenen Lösung zu kommen, werden im Folgenden wichtige Voraussetzungen diskutiert. Hierzu gehören die Epidemiologie, Probleme der Klassifikation und der diagnostischen Kriterien, mögliche funktionelle und strukturelle Folgen des Status und unerwünschte Nebenwirkungen der Therapie.

Epidemiologie:
Ein NCSE wurde nach den ersten Fallbeschreibungen durch Lennox (Lennox 1945) zunächst als absolute Rarität angesehen. Erst spätere Untersuchungen und Schätzungen zeigten, dass dies keinesfalls so ist. Er soll nach Celesia (Celesia 1976) etwa 25% aller Statusformen ausmachen, nach Shorvon liegt die Inzidenz bei 3,5 pro 100 000 (Shorvon, 1994), nach Coeytaux (Coeytaux et al. 2000) bei 3,3. Ein erstes Dilemma besteht darin, dass diese Zahlen nur mit größter Vorsicht zu betrachten sind, da den Untersuchungen ganz verschiedene diagnostische Kriterien zugrunde liegen, worauf später noch eingegangen wird. Völlig unklar aber ist die Häufigkeit von refraktären Fällen, d.h. Patienten, die nach adäquater intravenöser Gabe von Benzodiazepinen, Phenytoin bzw. Fosphenytoin oder Valproinsäure weiter kontinuierliche Anfallsaktivität aufweisen. Nach Schätzungen liegt sie beim generalisiert konvulsiven Status epilepticus (GCSE) bei 26% beim NCSE dagegen bei 88% (Mayer et al. 2002).

Klassifikation:

Wie die Epilepsien im Allgemeinen, lässt sich der NCSE zunächst in generalisierte und fokale Formen einteilen. Der generalisierte NCSE („Absencestatus“) ist klinisch gekennzeichnet durch ein fluktuierendes Verwirrtheitssyndrom, in einigen Fällen auch durch bilaterale Myoklonien. Das EEG zeigt überwiegend symmetrische synchronisierte iktale Aktivität (). Der fokale NCSE ist durch ein variables Bild nicht-konvulsiver Symptome gekennzeichnet, assoziiert mit einem fokalen EEG-Muster. Das Vorliegen einer Bewusstseinsstörung lässt den komplex-fokalen Status epilepticus (CPES) vom einfach fokalen (SPSE) abgrenzen. Es gibt jedoch viele Fälle, die sich klinisch und vom EEG her nicht eindeutig zuordnen lassen, da generalisierte und fokale Elemente gleichzeitig vorliegen (Thomas et al. 1999). Aus diesem Grund wird auch eine intermediäre Form diskutiert (Kaplan 1999). Weiter ist zu berücksichtigen, dass der NCSE in ganz verschiedenen Schweregraden auftreten kann. So kann der eine Patient nur minimal verwirrt sein, während am anderen Ende des Spektrums ein komatöser Patient steht. Der Klassifikationsvorschlag von Kaplan (Kaplan 1999) in mild („confused“), moderat („lethargic“), und schwer („comatose“) ist deshalb besonders interessant, weil er Informationen zur Prognose enthält und damit auch die Eskalation einer Behandlung besser steuern lässt.
Übereinstimmend wird der Absencestatus als leicht behandelbar angesehen und nicht als mit schwerwiegenden Folgen behaftet (). Daher gehe ich im weiteren nur noch auf die Folgen des lokalisationsbezogen oder komplex fokalen (limbischen) Status ein.

Diagnostische Kriterien:

Eine entscheidende Voraussetzung für die Analyse möglicher Statusfolgen stellen die verwendeten diagnostischen Kriterien dar. Es werden 2 verschiedene Gruppen von Kriterien verwendet. Die Kriterien von Treiman und Delgado-Escueta (Treiman u. Delgado-Escueta 1983) sind strikt, sie fordern rekurrente komplexfokale Anfälle (CPS) oder einen „Dämmerzustand“, EEG-Veränderungen wie bei isolierten CPS, einen prompten Effekt der i.v. Gabe eines Antiepileptikums auf das EEG und die Klinik und ein interiktales EEG mit konsistentem Herd. Diese Kriterien weisen zwei schwache Punkte auf: a. die Dominanz des EEGs und b. das Kriterium des prompten Ansprechens auf Medikation, denn hiernach kann es keine refraktären Fälle geben, was aber ohne Zweifel der Fall ist.
Die zweite Gruppe von Kriterien setzt eine Änderung mentaler Prozesse oder einer Verhaltensänderung variabler Dauer und ein damit assoziiertes epileptiform verändertes EEG voraus (Kaplan 1999). Diese Kriterien sind erheblich handlicher als die zuerst genannten Kriterien. Es besteht allerdings keine Übereinstimmung darüber, was genau unter „epileptiformen“ EEG-Veränderungen zu verstehen ist.

Funktionelle und strukturelle Folgen des Status:

Welche Folgen treten auf und wie können sie erfasst werden? Wir können funktionelle von strukturellen Folgen unterscheiden. Unter funktionellen Folgen sollen solche verstanden werden, die reversibel sind. Strukturelle Folgen sind dagegen irreversibel. Grob vereinfachend kann man die These aufstellen, dass erstere „gutartig“ und die strukturellen Folgen „nicht-gutartig“ sind.
Wie können wir nun Statusfolgen analysieren? Hierfür können tierexperimentelle Daten, Ergebnisse der bildgebenden Verfahren und Ergebnisse klinischer Untersuchungen verwendet werden.
Während klinisch eine isolierende Betrachtung der Statusfolgen ohne Berücksichtigung der zugrundeliegenden ZNS-Erkrankung nicht möglich ist, gelingt dies im Tiermodell. Sowohl chemokonvulsive als auch elektrische Modelle führen zu strukturellen, irreversiblen Folgen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß (Hosford 1999).
An irreversiblen klinischen Folgen sind in der Literatur überwiegend Amnesien, weitere kognitive Störungen und chronische Epilepsien beschrieben worden (Krumholz et al. 1995). Es liegen leider keine sauberen neuropathologischen Untersuchungen vor. Es ist jedoch anzunehmen, dass solchen permanenten Symptomen strukturelle Läsionen zugrunde liegen.
Reversible Folgen lassen sich gut mit bildgebenden Methoden erfassen. Von verschiedenen Autoren sind Signalanhebungen beschrieben worden, die funktionellen d.h. reversiblen Ödemen während und nach einem CPSE entsprechen können. Es ist unbekannt, in welchen Fällen sich später in diesen Arealen Neuronenverluste ausbilden (Chu et al. 2001; Wieshmann et al. 1997; Zhong et al. 1995).
Klinische Studien zur Prognose der Morbidität sind nicht besonders ergiebig. Von einer Ausnahme (Scholtes et al. 1994) abgesehen, handelt es sich um Kasuistiken und hochselektierte Gruppen. Klinische Studien sind mit dem Problem behaftet, dass man reine Statusfolgen praktisch nie vorfindet. Eins NCSE wird in aller Regel durch eine andere ZNS- oder systemische Erkrankung ausgelöst. Die Statusfolgen sind demnach kontaminiert durch eben diese auslösende Grunderkrankung.

Unerwünschte Nebenwirkungen der Therapie: Neben der komplexen Situation funktioneller und struktureller Folgen eines nicht-konvulsiven komplex fokalen Status epilepticus sind auch die Probleme zu berücksichtigen, die mit einer zunehmenden Therapieeskalation einhergehen.
Die hochdosierte i.v.-Gabe von Benzodiazepinen kann zur Atemdepression, arteriellen Hypotension und Sedierung führen. Tatsächlich wird in etwa 8% der Fälle eine Intubation notwendig (Brown u. Mikati 1993). Wenn Phenytoin oder Fosphenytoin noch zusätzlich gegeben werden, sind die Patienten durch kardiale Arrhythmien gefährdet (Chapman et al. 2001). Es mehren sich die Hinweise darauf, dass Valproinsäure in hohen Dosen Pankreas und Leberschäden verursacht (Chapman et al. 2001). Phenobarbital führt wiederum zu Atemdepression, arterieller Hypotension und Sedierung (Walker et al. 1995). Die weitere Eskalation stellt die Allgemeinanästhesie dar. Sie gilt bis heute als effektivstes Verfahren zur Unterbrechung eines refraktären Status epilepticus. Gleichzeitig führt sie aber auch zu einer massiven Bedrohung des Patienten, da es durch diese Therapie zu gravierenden Nebenwirkungen auf den arteriellen Druck, die myokardiale Kontraktilität, das Immunsystem und den Gastrointestinaltrakt kommen kann. Es ist demnach mit Folgeproblemen wie zerebraler Minderperfusion, kardialem Pumpversagen, Sepsis und Ileus zu rechnen.

Schlussfolgerungen:

Die Datenlage ist bislang zu dünn ist, als dass sich hieraus zuverlässige Leitlinien für die Therapie des nicht-konvulsiven Status epilepticus ergeben könnten. Es ist jedoch ein Trend erkennbar, der als Diskussionsgrundlage dienen kann. Beim Abwägen negativer Status- bzw. Therapiefolgen herrschte in Publikationen der frühen 90er Jahre die Meinung vor, dass der komplexfokale Status zu schweren strukturellen Läsionen führt und entsprechend aggressiv und frühzeitig durch Allgemeinanästhesie behandelt werden sollte. In den letzten Jahren scheint sich ein Paradigmenwechsel anzukündigen: die negativen Therapiefolgen sind mehr ins Zentrum des Interesses gerückt, und man ist deutlich zurückhaltender mit dem Einsatz der Allgemeinanästhesie. Es fehlen uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt Prädiktoren, die prognostische Hinweise geben könnten. Aber genau solche Prädiktoren könnten bei der Entscheidung helfen, wie weit die Therapie in Richtung Allgemeinanästhesie eskaliert werden sollte. Ein möglicher Ansatz ist in der zu Beginn erwähnten Einteilung in drei verschiedene Schweregrade (mild, moderat, schwer) zu sehen, da eine solche Segmentierung dieses heterogenen Krankheitsbildes potentiell Informationen zur Prognose enthält.

(H. Meierkord)

Referenzen:

1. Brown, T. u. Mikati, M. (1993). Status epilepticus. In: Ropper, A. (Hrsg.): Neurological and neurosurgical intensive care. 3rd Ed. Raven Press, New York, 383-411.
2. Celesia, G. G. (1976). Modern concepts of status epilepticus. JAMA 235(15):1571-1574.
3. Chapman, M. G., Smith, M. u. Hirsch, N. P. (2001). Status epilepticus. Anaesthesia 56(7):648-659.
4. Chu, K., Kang, D. W., Kim, J. Y., Chang, K. H. u. Lee, S. K. (2001). Diffusion-weighted magnetic resonance imaging in nonconvulsive status epilepticus. Arch. Neurol. 58(6):993-998.
5. Coeytaux, A., Jallon, P., Galobardes, B. u. Morabia, A. (2000). Incidence of status epilepticus in French-speaking Switzerland: (EPISTAR). Neurology 55(5):693-697.
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8. Krumholz, A., Sung, G. Y., Fisher, R. S., Barry, E., Bergey, G. K. u. Grattan, L. M. (1995). Complex partial status epilepticus accompanied by serious morbidity and mortality [see comments]. Neurology 45(8):1499-1504.
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10. Mayer, S. A., Claassen, J., Lokin, J., Mendelsohn, F., Dennis, L. J. u. Fitzsimmons, B. F. (2002). Refractory status epilepticus: frequency, risk factors, and impact on outcome. Arch. Neurol.  59(2):205-210.
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12. Shorvon, S. D.  Status epilepticus: Its clinical features and treatment in children and adults., 1994.
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15. Walker, M. C., Smith, S. J. u. Shorvon, S. D. (1995). The intensive care treatment of convulsive status epilepticus in the UK. Results of a national survey and recommendations. Anaesthesia 50(2):130-135.
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